Schutzkonzept gegen Gewalt
Schutzkonzept gegen Gewalt
Gewaltprävention und Umgang mit Gewalt
Zweck und Zielsetzung der Konzeption
Vorwort
Das Wohl der uns anvertrauten Menschen war und ist uns als Träger von Diensten und Einrichtungen immer ein elementares Anliegen. Es ist daher unser Ziel am Aufbau einer »Kultur der Achtsamkeit« mitzuwirken.
Wir tragen eine gemeinsame Verantwortung gegen über den uns anvertrauten Menschen, die wir durch genaues Hinsehen, klares Benennen der Dinge und Ermöglichen von Veränderungen zu deren Schutz vor (sexualisierter) Gewalt wahrnehmen. Für die (pädagogischen) Fachkräfte ist Prävention gegen (sexualisierte) Gewalt elementarer Bestandteil ihres professionellen Handelns.
Das Schutzkonzept gegen Gewalt soll dazu beitragen, Haltungen und Verhalten zu reflektieren und dadurch Handlungssicherheit im Arbeitsalltag zu gewinnen.
Das Schutzkonzept gegen Gewalt gibt Orientierung und Sicherheit für alle Beteiligten in unseren Diensten und Einrichtungen und befähigt dazu, Verantwortung für den Schutz der uns anvertrauten Personen zu übernehmen, da Aggressionen, Konflikte und Gewalt im Zusammenleben von Menschen nicht immer vermieden werden können. Gerade auch beim Zusammenwohnen in Institutionen oder Einrichtungen spielt besondere Nähe und Vertrauen eine wichtige Rolle. Als unverzichtbare Basis für Sicherheit ist Vertrauen eine Bedingung, auf die sich die Bewohner/-innen, aber auch die Mitarbeitenden verlassen können müssen. Leider steigt jedoch in Abhängigkeits- und Näherverhältnissen auch das Missbrauchsrisiko und befördert Machtausübung, Gewalt und Aggression.
Aus diesem Grund bedarf es einer intensiven Präventionsarbeit, aber auch eines bewussten und professionellen Handelns, wenn es zu Konflikten und Gewalttätigkeiten kommt.
Mit einem umfassenden Schutzkonzept will der Caritasverband für die Stadt Amberg und den Landkreis Amberg Sulzbach e.V. Rahmenbedingungen schaffen, damit sowohl die Mitarbeitenden, als auch die uns anvertrauten Menschen Sicherheit und Vertrauen in unsere Dienste und Einrichtungen setzen können, wenn es um den Schutz vor Gewalt in allen ihren Ausprägungen geht.
Zielsetzung der Konzeption
Das Schutzkonzept gegen Gewalt verfolgt im Wesentlichen vier Ziele:
- Das Konzept soll in seiner Handlungsempfehlung die Sensibilisierung von Mitarbeitenden in den Beratungsdiensten wie auch in den voll- und teilstationären Einrichtungen sowie ambulanten Diensten für das Thema Gewalt gegenüber Bewohner/-innen und Klienten/-innen, aber auch den Umgang miteinander verbessern. Die Mitarbeitenden sollen dazu befähigt werden, Maßnahmen zur Vorbeugung und Verhinderung von Gewalt einzuleiten.
- Die Mitarbeitenden sollen darüber hinaus auch Handlungsempfehlungen und konkrete Verfahrensschritte für den Umgang mit (sexuellen) Übergriffen oder bei einem Verdacht auf sexuelle Gewalt an die Hand bekommen, um Ohnmachtsgefühlen, Verunsicherungen oder unüberlegtem Handeln entgegenzuwirken. Zudem soll durch festgelegte Verfahrensschritte sichergestellt werden, dass Gewaltsituationen möglichst schnell beendet werden und die Betroffenen professionelle Unterstützung erhalten.
- Bewohner/-innen, Klienten/-innen sowie Einrichtungsnutzer/-innen sollen ein von (sexueller) Gewalt und Missbrauch befreites, selbst- bestimmtes Leben führen können.
- Nicht zuletzt soll das Konzept dazu beitragen, ein grenzwahrendes und respektvolles Miteinander in Diensten und Einrichtungen für alle Betroffenen zu ermöglichen und zu fördern
Formen der Gewalt
Definition von Gewalt
Gewalt ist jede Verletzung der physischen oder psychischen Integrität eines Menschen. Dabei liegt Gewalt insbesondere immer dann vor, wenn einem Menschen im Kontext von Abhängigkeitsstrukturen gegen seinen Willen ein Verhalten/Tun oder Unterlassen aufgezwungen wird (bis hin zur physischen oder psychischen Überwältigung oder Vernichtung), unabhängig davon, ob die Gewalt gewollt, bewusst oder absichtlich angewendet wurde oder unabsichtlich, unbewusst bzw. ungewollt.
Formen der Gewalt
1. Körperliche (physische) Gewalt
a) Allgemein
Als körperliche Gewalt ist jedes ungeduldige, grobe oder sogar aggressiv getönte Anfassen von Menschen z. B. bei der Körperpflege, bei alltäglichen Verrichtungen oder das Schieben und Ziehen bei Wegen, die in einem bestimmten Zeitraum zurückgelegt werden müssen (Weg zur Schule, Förderstätte, Arzt, Toilettengang in der Pflege etc.) zu verstehen. Ob ein bestimmtes Verhalten bereits Gewalt beinhaltet kann der einzelne Mitarbeitende nur durch ehrliche Reflexion der eigenen Gefühle beantworten.
Stehen beim Mitarbeitenden im Körperkontakt vor allem ein Gefühl von Wut, Druck und Hilflosigkeit durch Überforderung im Vordergrund, so ist die Grenze zur Gewalt schnell überschritten.
Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn ein/-e Klient/-in, Bewohner/-in oder Mitarbeitender selbst körperlich angegriffen wird und sich die Gefährdung nicht anders abwenden lässt, als durch körperliche Kraft. Dies gilt auch bei akuter Selbstgefährdung (z. B. Suizidversuch). In diesen Fällen der Notwehr bzw. Nothilfe soll die körperliche Kraft angesichts der kritischen Situation verhältnismäßig eingesetzt werden.
b) Beispiele für körperliche Gewalt
- Schlagen, anderweitige körperliche Schmerzen zufügen
- eine Person gegen ihren Willen festhalten, schieben, ziehen usw.
- sonstige bewusste Einschränkungen des körperlichen Wohlbefindens: Verweigerung von notwendiger Pflege, Vernachlässigung, Einschränkung oder Verbot von sozial angemessenem sexuellem Verhalten, fehlende Möglichkeit zur Ruhe oder zur Bewegung
- Nichterfüllen körperlicher Bedürfnisse: Entzug von Essen bzw. Trinken, willkürliche Diäten
- »Strafen« oder Interventionen mit Rachecharakter (z. B. ruppige Pflegeverrichtungen, zu heiß oder zu kalt baden, fester zupacken als erforderlich)
2. Sexualisierte Gewalt
a) allgemein
sexuelle Gewalt ist die psychische und physische Ausübung von Gewalt zur Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen, sowie Handlungen, die die sexuelle Selbstbestimmung einschränken oder die sexuelle Integrität einer Person verletzen. Sexuelle Gewalt setzt ein Machtgefälle voraus, das durch die Ausnutzung einer Überlegenheit (z. B. physische bzw. psychische Dominanz) oder Abhängigkeit entsteht. Sexuelle Handlungen werden für das Ausleben von Macht- und Dominanzbedürfnissen instrumentalisiert. Dazu zählen neben den Fällen des Missbrauchs eben- so sexuelle Belästigungen und Grenzverletzungen. Letztere sind gegeben bei sexistischen, geschlechts- bezogenen, entwürdigenden oder beschämenden Bemerkungen und Handlungen sowie bei unerwünschter körperlicher Annäherung. Gerade Menschen, die in Institutionen, insbesondere in teil- oder vollstationären Einrichtungen wohnen, befinden sich zu den Mitarbeitenden der Einrichtung in einem Betreuungs- und Abhängigkeitsverhältnis. Jedes Verhalten der Mitarbeitenden, das sexuell motiviert ist, d. h. der eigenen Erregung und/oder sexuellen Befriedigung des Mitarbeitenden dient und das von ihm ausgeht, ist als sexuelle Gewalt zu werten.
Besonders kritisch sind die Situationen zu werten, in denen sich Klienten/-innen bzw. Bewohner/-innen sexuell auf einzelne Mitarbeitende oder andere Mitbewohner/-innen fixieren, wiederholt eindeutige Verhaltensweisen zeigen und sexuell übergriffig werden. Diese Situationen sind mit pädagogischen Maßnahmen zu beeinflussen, um Mitarbeitende oder Bewohner/-innen ggf. vor falschen Anschuldigungen zu schützen.
b) Beispiele
- sexuelle Übergriffe ohne Körperkontakt: sexualisierte Sprache, anzügliche/aufdringliche Blicke, voyeuristisches Verhalten, exhibitionistisches Verhalten, nicht Einhalten der Intimsphäre, Verhinderung des Auslebens der Sexualität, Unterbinden von Beziehungen, anzügliche Bemerkungen
- sexuelle Übergriffe mit Körperkontakt: unangemessene Berührungen, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sonstige sexuelle Übergriffe (Belästigung, Nötigung)
3. Seelische (psychische) Gewalt
a) allgemein
Psychische Gewalt findet häufig indirekt und wenig sichtbar statt. Kränkungen und Abwertungen können durch subtile Signale, durch Mimik und Körpersprache ausgedrückt werden. Massiver psychischer Druck kann durch intensives Überreden und Motivieren wollen entstehen.
Die Gefahr psychischer Gewalt ist am größten, wenn Klienten/-innen oder Bewohner/-innen starke negative Gefühle bei Mitarbeitenden auslösen. Dies kann durch Verhaltensauffälligkeiten (Provokationen, Aggressionen, Beleidigungen und Abwertungen) oder durch sonstiges belastendes Verhalten (z. B. Hervorrufen von Ekelgefühlen) oder aufgrund einer persönlichen Abneigung eines Mitarbeitenden gegen einen bestimmten Menschen geschehen.
b) Beispiele
- verbale Entgleisungen (z. B. Drohungen, Beschimpfungen, Bloßstellungen)
- jemanden lächerlich machen, sich über jemanden lustig machen
- abwertende Bemerkungen
- Demütigung
- Mobbing
- langandauerndes Ignorieren
- bewusstes Ignorieren von Bedürfnissen und/oder Unterlassen von unterstützenden Maßnahmen
- bewusstes Über- oder Unterfordern
- willkürliche Einschränkung der Selbstbestimmung ohne Begründung (z. B. »du kommst jetzt mit, weil ich das sage«)
4. Strukturelle Gewalt
a) allgemein
Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse. Oftmals diktiert z. B. der vorgegebene finanzielle Rahmen viele Gegebenheiten, u. a. den Personalschlüssel und die Räumlichkeiten.
b) Beispiele
- ungerechtfertigt starr gestaltete Hausordnungen, Tagesabläufe und Förderpläne
- Vorenthaltung von Mitentscheidungsrechten (z. B. durch starke Beeinflussung)
- Ruhigstellen
- Mangelernährung
- Vorenthalten von Informationen
- ungeeignete Wohn-, Arbeits- und Aufenthalts- räume
- keine Auswahlmöglichkeiten anbieten (z. B. mono- tone Arbeiten), keine Abwechslung- oder Beschäftigungsmöglichkeit in Pflegeeinrichtungen
- Kultur des »über andere sprechen« in abwerten- dem und/oder diskretionsverletzendem Sinn (Informationen über Bewohner austauschen mit außenstehenden Personen oder im Beisein von anderen Bewohnern/-innen)
- unangemessene Einschränkung der Kommunikations-, Entscheidungs- oder Mitbestimmungsmöglichkeiten in Fragen des Privatlebens, der Alltagsgestaltung oder individuellen Persönlichkeitsentfaltung
- erschwerter Zugang zu Teilhabe und Selbstbestimmung
5. Pädagogische Gewalt
a) allgemein
Pädagogische Gewalt liegt dann vor, wenn Willens- und Entscheidungsfreiheit einschließlich der Bewegungsfreiheit eines Menschen missachtet,
- unverhältnismäßige und willkürliche Regeln und/oder Verbote
- zwangsweise Durchsetzung willkürlicher Regeln und Verbote (z. B. durch Strafen)
- Vorenthaltung einer Förderung
- Verletzende, demütigende Wortwahl
- Gerüchte setzen und kultivieren
6. Kulturelle Gewalt:
a) allgemein:
Unter kultureller Gewalt werden Aspekte einer Kultur verstanden, die benutzt werden können, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen. Sie entsteht aus Werthaltungen (wie traditionelle oder unterschiedliche Normen) und negativen Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungs- gruppen (Diskriminierungen). Im Gegensatz zu den anderen Gewaltformen existiert sie nur ideell, dient aber der Legitimation konkreter Gewalt.
b) Beispiele:
- Ausländischen Mitbürgern/-innen werden Leistungen vorenthalten, da sie diese in ihrem Herkunftsland nicht erhalten würden
- Senioren/-innen wird Bedürfnislosigkeit unterstellt und es wird auf ihre individuellen Wünsche nicht eingegangen
Maßnahmen zur Prävention von Gewalt
Allgemeine Präventionsmaßnahmen in Einrichtungen des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Amberg Sulzbach e.V.
1. Risikoanalyse
Die Risikoanalyse ist eine Möglichkeit, Gefahren- potentiale in der Organisation bzw. Einrichtung zu erkennen und sich darüber bewusst zu werden. Durch die Risikoanalyse kann festgestellt werden, welche Gegebenheiten in der alltäglichen Arbeit oder in der Struktur der Einrichtung die Ausübung von Gewalt ermöglichen oder gar begünstigen. Zusätzlich soll durch die Risikoanalyse nach Schutzfaktoren gesucht werden, die das Risiko von Gewalt und Unachtsamkeit minimieren.
2. Personal
Wirksamer Schutz gegen (sexualisierte) Gewalt beginnt mit der Auswahl des Personals.
a. Auswahl des Personals
Die Auswahl und Einstellung von Personal sollte grundsätzlich durch ein ausführliches Bewerbungsgespräch durch die verantwortliche Person sichergestellt werden. Bereits im Gespräch sollten die dienstlichen Vorgaben zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch und die Sanktionierung bei Verstößen angesprochen werden. Auf Verhaltensregelungen (Verhaltenskodex) der Einrichtung bzw. des Verbandes sowie das interne und externe Beschwerdemanagement muss hingewiesen werden. Es ist außerdem klarzustellen, dass beobachtete Grenzverletzungen zu melden sind.
Spätestens bei dem Einführungsgespräch sind schriftliche Informationen zu Standards und das Schutzkonzept auszuhändigen um die Offenheit für die Problematiken, Grenzverletzungen und Gewalt-schutz anzusprechen. Alle Mitarbeitenden sollen Fragen und Wahrnehmungen zu sexuellem Missbrauch offen bei Teambesprechungen bzw. gegen- über ihrer/-m Vorgesetzten thematisieren können. Sollte es sich jedoch um auffälliges Verhalten von Kollegen/-innen handeln, ist eine Thematisierung im Team nicht angebracht. In dieser Situation ist die Leitung bzw. die zuständige, von der Einrichtung genannte interne Vertrauensperson oder eine externe Vertrauensperson einzubeziehen.
b. Erweitertes Führungszeugnis
Der Träger der Einrichtung / des Dienstes trägt die Verantwortung dafür, dass nur Personen mit der Betreuung von Kindern, Jugendlichen und anderen besonders schutzbedürftigen Personen betraut werden, die über eine fachliche sowie eine persönliche Eignung verfügen. Um diese Verpflichtung in Einrichtungen der Jugendhilfe, bei Schülern/-innen sowie Auszubildenden in den stationären Einrichtungen Rechnung zu tragen, verpflichtet der Träger alle Mitarbeitenden grundsätzlich vor der Anstellung ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis nach § 30 a Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz vorzulegen. Die Vorlagepflicht ist in regel- mäßigen Abständen zu wiederholen.
c. Präventionsordnung Regensburg
Die deutschen Bischöfe haben in den letzten Jahren jeweils aktualisierte Rahmenordnungen zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen beschlossen, die jeweils durch den Bischof als Präventionsordnung durch Veröffentlichung im Amtsblatt für die Diözese Regensburg in Kraft gesetzt wurden. Die Präventionsordnung in der jeweils geltenden Fassung ist auch für die Dienste und Einrichtungen der Caritas verpflichtend umzusetzen und anzuwenden.
d. Selbstverpflichtungserklärung/Selbstauskunft
Die Selbstverpflichtungserklärung ist Teil der geltenden Präventionsordnung Regensburg. Alle Mitarbeitenden müssen sich grundsätzlich vor Anstellung durch Unterzeichnung zu einem reflektierten Umgang mit ihren Schutzbefohlenen und zu zeitnaher und angemessener Thematisierung von Grenzverletzungen verpflichten. Die Selbstverpflichtungserklärung ist Teil des Dienstvertrages.
Dies schließt auch eine Selbstauskunft mit ein, so dass keine Verurteilung im Zusammenhang mit Straftatbeständen, die die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit betreffen, vorliegt und auch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Darüber hinaus ist die Verpflichtung einzugehen, den Dienstgeber zu informieren, wenn ein Strafverfahren wegen einer der Tatbestände des § 30a BZRG eröffnet wird.
e. Schweigepflichterklärung und Datenschutz
Dem Schutz von personenbezogenen Daten wird neben den einschlägigen gesetzlichen Regelungen auch aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Klienten/-innen, Bewohnern/-innen und Fachkräften eine besondere Bedeutung beigemessen. Alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die mit personenbezogenen Daten von Klienten und Bewohnern betraut werden, unterzeichnen eine Verschwiegenheits- und Datenschutzerklärung.
f. Dienstanweisungen
Um einen einheitlichen respektvollen Umgang und insbesondere den Umgang mit grenzverletzenden Handlungen sicherzustellen, sind entsprechende Dienstanweisungen zu formulieren, die auch dienstrechtliche Verbindlichkeit haben. Sie dienen den Mitarbeitenden als konkrete Leitlinien ihrer täglichen Arbeit und sichern die Umsetzung des Schutzkonzeptes.
Dienstanweisungen sind grundsätzlich konkret und leicht verständlich zu formulieren. Die Mitarbeitenden sind über die Verbindlichkeit der Dienstanweisungen sowie auf die Konsequenzen bei Zuwiderhandlung aufzuklären. Zudem sind die Dienstanweisungen im QM-Handbuch im CariNet sowie in der Einführungsmappe für neue Mitarbeitende abzulegen.
Die Dienstanweisungen sollen von der Geschäftsführung bzw. Leitung der Einrichtung unter Beteiligung der Mitarbeitenden kontinuierlich weiterentwickelt werden und folgende Punkte als Mindeststandards enthalten:
- Alle Bewohner/-innen in Alten- und Pflegeheimen sind bei Einzug über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und erhalten die grundlegenden Informationen zum internen und externen Beschwerdemanagement. Die konkreten Ansprechpartner/-innen für Missbrauchsfragen sowie der Zugang zu ihnen sind zu benennen.
- Alle Mitarbeitenden sind dazu verpflichtet, sich für den Schutz aller Bewohner/-innen, aller sonstigen Schutzbefohlenen sowie Klienten/-innen einzusetzen.
- Alle Mitarbeitenden sind dazu verpflichtet, von ihnen beobachtete körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt umgehend dem Dienstvorgesetzten bzw. der Leitung zu melden.
- Im Falle von Gewalt gegen Schutzbefohlene sind die Mitarbeitenden verpflichtet, in Absprache mit der Leitung, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren.
- Alle Beobachtungen von Gewalt sind durch die Leitung / die Fachkräfte zu dokumentieren.
- Wenn sich Opfer von (sexualisierter) Gewalterfahrung anvertrauen, wird das Berichtete nicht in Frage gestellt, auch wenn es zunächst unvollständig erscheint oder Zweifel bestehen.
- Den Mitarbeitenden ist es grundsätzlich verboten, Fotografien bzw. Filme ohne das Einverständnis der/des Betroffenen anzufertigen.
- Alle Mitarbeitenden wahren eine professionelle Distanz und pflegen keine privaten Kontakte zu Bewohnern /innen bzw. Klienten/-innen. Private Verhältnisse sind um- gehend dem zuständigen Dienstvorgesetzen zu melden.
g. Verhaltenskodex
Der Verhaltenskodex dient den Mitarbeitenden als Orientierungsrahmen für einen grenzachtenden Umgang und formuliert Regelungen für Situationen, die für (sexualisierte) Gewalt leicht ausgenutzt werden könnten. Er sendet zum einen ein klares Zeichen an potentielle Täter/-innen und verdeutlicht die eigene Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber dem Thema »Gewalt«. Der Verhaltenskodex zielt auf den Schutz vor sexuellem Missbrauch und Gewalt und schützt zugleich die Mitarbeitenden vor falschem Verdacht. Der Verhaltenskodex sollte von der Leitung der Einrichtung unter Beteiligung der Mitarbeitenden kontinuierlich weiterentwickelt werden und sollte folgende Punkte als Mindeststandards enthalten:
- Geschenke an Klienten bzw. Bewohner/-innen sind im Team abzusprechen und nur erlaubt, wenn sie einen pädagogisch sinnvollen und angemessenen Zusammenhang mit der jeweiligen Aufgabe haben.
- Sprache, Wortwahl, Kleidung:
- Alle Mitarbeitenden achten auf einen wertschätzenden Umgang und achten jedes Gegenüber in seiner Individualität.
- Im Umgang mit Bewohnern/-innen oder sonstigen Schutzbefohlenen bzw. Klienten/-innen verpflich- ten sich alle Mitarbeitenden, keine grenzverletzenden Kommentare oder Gesten zu machen.
- Bewohner/-innen bzw. Klienten/-innen werden von allen Mitarbeitenden immer mit ihrem Namen angesprochen. Es werden keine Spitz- und Kosenamen verwendet.
- Sexuell aufreizende Kleidung ist keine angemessene Kleidung im Berufsalltag.
- Erzieherische Maßnahmen: Es werden grundsätzlich keine Drohungen ausgesprochen. Mögliche Sanktionen bei Fehlverhalten sind als solche klar zu benennen.
- Sanktionen: Es besteht die Verpflichtung für alle, Verstöße mitzuteilen, damit es nicht von Freundschaft/Loyalität abhängt, ob Fehlverhalten bemerkt oder gemeldet wird
- Intimsphäre
- Die persönliche Schamgrenze und die Intimsphäre der anvertrauten Personen sind zu achten. Jedes Verhalten, das die Intimsphäre verletzt, ist zu unterlassen.
- In Einrichtungen ist das Betreten der Sanitär- bzw. Schlafräume nur aus Gründen der Aufsichts- pflicht oder für Pflegemaßnahmen erlaubt und geschieht - wenn möglich - in der Jugendhilfe nur in Begleitung einer weiteren erwachsenen Person und grundsätzlich nur nach Anklopfen.
- Mitarbeitende übernachten nicht gemeinsam mit einer anvertrauten Person in einem Zimmer.
- Alle Mitarbeitenden schützen und wahren zu jeder Zeit die Würde und Privatsphäre der Bewohner/-innen bzw. Klienten/-innen.
- Nähe-/Distanzverhältnis: Alle Mitarbeitenden achten auf eine transparente, sensible, zugewandte und fachlich adäquate Gestaltung von Nähe und Distanz.
- Dienstgeber: Der Dienstgeber verpflichtet sich zu Maßnahmen und Verfahren, die seine Verantwortung am Gelingen einer gewaltfreien Organisation verdeutlichen. Es werden Verfahrens-anweisungen und Regeln festgeschrieben und in einem Verhaltenskodex formuliert, die angemessene Verhaltensweisen im Umgang mit den anvertrauten Menschen festschreiben.
h. Organigramm
Um eine hohe Transparenz der Struktur und klare Zuständigkeiten zu gewährleisten, wird ein Organigramm der Aufgabengebiete sowie der einzelnen Mitarbeitenden jederzeit zugänglich in der Dienststelle bzw. Einrichtung veröffentlicht.
i. Ansprechpartner/-in für Prävention und Missbrauch
In jeder Dienststelle und Einrichtung sind Ansprechpartner/-innen bzw. Beauftragte für Prävention und/ oder Missbrauch zu benennen, die barrierefrei erreichbar sein müssen. Dabei soll auch auf Ansprechpartner/-innen bzw. Beauftragte des Bistums verwiesen werden, um auch außerhalb der Hierarchie des Trägers Anlaufstellen zur Verfügung zu stellen, zu denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Aufgaben der/des Ansprechpartners/-in der Einrichtung sind:
- Entgegennahme und gemeinsames Besprechen von Hinweisen/Verdachtsmomenten durch Bewohner/-innen, Mitarbeitende, Klienten/-innen, An- und Zugehörige (ohne dass dadurch Spuren verwischt werden)
- Protokollierung der Gespräche
- Ggf. Information der externen unabhängigen Ansprechperson, die das weitere Vorgehen über- nimmt Vermittlung der Kontakte bzw. Gespräche zur Einrichtungsleitung, zum Vorgesetzten, zur/zum externen unabhängigen Beauftragten
- Koordination der Schulungsmaßnahmen zur Prävention in Kooperation mit den Verantwortlichen für Fortbildung, der/des Einrichtungsleiters/-in bzw. Vorgesetzten und den Verantwortlichen der Personalabteilung
- »Kümmerer« für das Thema Prävention in der jeweiligen Einrichtung
- Mitarbeit an der Weiterentwicklung des hausindividuellen Schutzkonzepts
j. Aufgabenbeschreibungen ehrenamtlicher Mitarbeitender
Ehrenamtliche Mitarbeitende übernehmen ohne Anleitung keine sozialpädagogischen bzw. fachbetreuenden Aufgaben. Sie handeln stets unter Anweisung der hauptamtlichen Fachkräfte insbesondere in Bezug auf Beratung, Betreuung oder Krisenintervention. Es steht ihnen zu jeder Zeit eine klar benannte, hauptamtlich verantwortliche Ansprechperson zur Verfügung.
k. Einarbeitung der Mitarbeitenden
Eine Einarbeitung durch die entsprechenden Fachkollegen/-innen oder die Leitung ist gewähr- leistet. In der Anfangsphase ist sicherzustellen, dass den neuen Mitarbeitenden immer eine klare Ansprechperson für Rücksprache und Unterstützung zur Verfügung steht.
l. Fortbildung
Fortbildungen stellen sicher, dass alle Mitarbeitenden für besondere Schutzbereiche und Rechte sensibilisiert sind. Den Mitarbeitenden werden regelmäßig Fortbildungen für ihre relevanten Arbeitsbereiche angeboten. Mitarbeitende sollen motiviert und gefördert werden regelmäßig an internen und externen Informations- und Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. In der Einführungsveranstaltung für neue Mitarbeitende ist die Sensibilisierung für Fragen von Missbrauch und Grenzverletzung verbindlicher Bestandteil.
m. Mitarbeitergespräche und Teamsitzungen
Bei der Personalführung ist auf allen Ebenen Wert auf regelmäßige Gespräche zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitenden zu legen. Entsprechend der jeweiligen Situation in den Einrichtungen und Diensten kann dies in Form von Teamsitzungen oder Mitarbeitergesprächen erfolgen. In diesem geschützten Rahmen soll auch ein Forum bestehen um Informationen auszutauschen, Absprachen zu treffen und eigenes - auch grenzüberschreitendes - Verhalten zu reflektieren. Im Mittelpunkt soll dabei nicht bei aufgetretenen Fehlern eine mögliche Sanktionierung je nach Schwere des Falls stehen, sondern es soll gemeinsam nach Lösungen und Handlungsoptionen gesucht werden. In diesen Gesprächen darf es keine Tabuthemen geben, damit Grenzüberschreitungen und Gewalt offen angesprochen werden können
In diesem Bereich ist auch der Umgang mit Mitarbeitenden, die zu Unrecht einem Verdacht aus- gesetzt wurden, anzusprechen.
Es ist Aufgabe der Einrichtungsleitung, Abteilungsleitung bzw. Referatsleitung Sorge dafür zu tragen, dass eine Kultur des Hinsehens entwickelt wird, die den Mitarbeitenden nicht aus Angst oder Überforderung zum Schweigen oder Wegsehen veranlasst, sondern Position beziehen lässt und ihn verantwortungsvoll handeln lässt.
3. Bauliche Maßnahmen
a. Sicherstellung von Anonymität und Vertraulichkeit in der Beratung
Achtsamkeit im Hinblick auf Missbrauch und Gewalt setzt voraus, dass über mögliche Vorkommnisse und Verdachtsmomente ein vertrauliches Gespräch möglich ist. Dazu bedarf es für die Sozialberatung und Sozialbetreuung geeigneter Räume, die entsprechend technisch ausgestattet sind.
Dazu gehört, dass jeder Mitarbeitende Zugang zu einem Beratungsplatz hat, der den Schutz der Intimsphäre der Bewohner/- innen bzw. Klienten/-innen garantiert (Schallisolation und Sichtschutz). Zudem bedarf es der notwendigen technischen Ausstattung (Computer, Telefonanschluss, aktensicheres Mobiliar), um vertrauliche Mitteilungen bzw. ein vertrauliches Gespräch zu ermöglichen.
b. Raumaufteilung
Räumliche Enge und fehlende Schutz- und Rückzugsräume sind ein erheblicher Risikofaktor in Bezug auf das Aufkommen von Konflikten und (sexualisierter) Gewalt. Bereits in der Planungsphase ist sicherzustellen, dass sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Bewohner/-innen bzw. Klienten/-innen Aufenthaltsflächen zur Verfügung stehen, die auch als Rückzugsraum genutzt wer- den können. Dies können für Mitarbeitende Büros sein, die für bestimmte Zeiten nicht für den Publikumsverkehr geöffnet sind, aber auch Pausen- und Aufenthaltsräume, die nur den Mitarbeitenden offen- stehen. Für Klienten/-innen ist ein entsprechender Wartebereich bzw. Gemeinschaftsflächen in den Dienststellen und Einrichtungen vorzusehen.
Dazu gehört auch eine ausreichende Ausstattung mit Toiletten und Waschgelegenheiten.
4. Präventionsangebote
In Bezug auf die Prävention von Gewalterfahrung spielt soziale Arbeit im Sinne von Beratung und Begleitung Schutzbefohlener eine zentrale Rolle, da sie durch individuelle Zuwendung Frust und Aggressionen entgegenwirkt.
a. Information über Rechte und Pflichten
In Bezug auf Gewaltschutz müssen alle Bewohner/-innen, Patienten/-innen, Schutzbefohlene sowie Klienten/-innen umfassend und - wenn nötig - kultursensibel über ihre Rechte und Pflichten informiert werden.
- Sofern dies nötig erscheint, müssen Schutz- befohlene über die geltenden Normen in Bezug auf allgemeine Menschenrechte, Frauenrechte, Kinderrechte, Minderheitenrechte etc. informiert werden. Gleichzeitig müssen auch die rechtlichen Konsequenzen bei Verstoß gegen diese Gesetze aufgezeigt und deutlichgemacht werden.
- Bei Einrichtungen kann eine Hausordnung Grundregeln eines friedlichen Zusammenlebens fest- legen. Diese soll - wenn möglich - in der jeweils relevanten Sprache, am besten bildgestützt, zentral ausgehängt werden. Sinnvoll ist zudem eine Einführung in die Hausordnung sowie die Dokumentation, dass der/die Bewohner/-in die Hausordnung in Empfang und zur Kenntnis genommen hat.
- In Einrichtungen sind die Bewohner/-innen umfassend zeit- nah zu informieren, an wen und wie sie sich bei einer (vermuteten) Gewalttat wenden können (z. B. Ansprechpartner/-in, Notfalltelefon). Alle Bewohner/-innen müssen um- fassend und zeitnah über Ansprechpartner/-innen, Abläufe und Prinzipien des internen und externen Beschwerdeverfahrens informiert werden.
b. Beratung und Begleitung
Grundlage jeder professionellen Beratungsarbeit ist das Führen von Handakten, um den Beratungsprozess zu dokumentieren und jederzeit nachvollziehbar machen zu können. Um präventiv gegen Gewalt beratend tätig zu werden ist es wichtig (vermutete) Spannungen und Konflikte anzusprechen, Deeskalationsmaßnahmen vorzuschlagen und zu begleiten sowie an internes und externes Fachpersonal zu vermitteln.
Die Beratung soll möglichst niederschwellig und - wenn nötig - kultursensibel erfolgen. Dies kann im Zusammenhang mit einem Beratungsgespräch, das aus anderen Gründen als zur Gewaltprävention aufgenommen wurde, erfolgen, als auch durch das direkte Ansprechen von (vermuteten) Gewalterfahrungen.
c. Kooperation mit Fachberatungsstellen
Um insbesondere besonders schutzbedürftigen Gruppen präventive Angebote machen zu können, ist die Kooperation mit entsprechenden Fachberatungsstellen anzuraten, um eine bestmögliche individuelle und bedarfsorientierte Beratung und Begleitung zu gewährleisten.
Dies kann im Hinblick auf die Vermittlung von Schutzbefohlenen als auch für die direkte Beratung der Mitarbeitenden in Bezug auf Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen nötig sein.
d. Partizipation
Um Angebote bewohner- und klientenorientiert zu konzipieren und die Qualität der Beratung, Begleitung und Betreuung sicher- zustellen sollen Möglichkeiten der Partizipation der Bewohner/-innen, sonstiger Schutzbefohlener bzw. Klienten/-innen eruiert werden. Die Partizipationsmöglichkeiten müssen auf die Zielgruppe und die Rahmenbedingungen der Einrichtung abgestimmt sein. Betreute, Mitarbeitende und Angehörige sollen regelmäßig dazu aufgefordert wer- den, ihre Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Beispiele dafür können regelmäßige Gruppengespräche sein, in denen Bedürfnisse, Wünsche, Anregungen, Anliegen und Kritik der Betroffenen erfragt wer- den, aber auch institutionalisierte Gremien wie Selbsthilfegruppen, Heimbeirat etc.
5. Beschwerdeverfahren
Ein effektives Beschwerdeverfahren setzt das Wissen um die eigenen Rechte sowie die konkreten Ansprechpersonen und Abläufe voraus. Die Information darüber erfolgt unmittelbar beim Erstkontakt bzw. beim Einzug und in wiederkehrenden Ansprachen und Informationen. Gewalt ist oftmals auch eine Folge von ungelösten Konflikten.
Das Beschwerdeverfahren sollte daher im Sinne des Präventionsanspruches integral und niederschwellig ausgestaltet sein. Es sollte sich nicht ausschließlich mit (vermuteten) Gewalterfahrungen befassen, sondern allen Bewohner/-innen, Schutzbefohlenen bzw. Klienten/-innen und Mitarbeitenden grundsätzlich zu allen Themen offenstehen.
Es gibt eine interne wie externe unabhängige Beschwerdestelle. Sie arbeiten grundsätzlich vertraulich und lösungsorientiert. Dabei soll das Beschwerdemanagement von allen Mitarbeitenden als selbstverständlicher Teil einer offenen und transparenten, trägerinternen Fehlerkultur verstanden werden. Es dient sowohl dem Schutz der Bewohner/-innen, Patienten/-innen, der Schutzbefohlenen sowie Klienten/-innen als auch der Verbesserung des personellen Handelns.
a. Interne Beschwerdestelle/ Konfliktmanagement
In jeder Einrichtung und Dienststelle besteht eine interne Beschwerdestelle, die aus einer/ einem oder mehreren Mitarbeitenden bestehen soll. Besondere Regelungen für Konflikt- und Deeskalationsmanagements sind wünschenswert. Es müssen klare Zeitfenster und -orte für die Kontaktaufnahme genannt werden. Auch im Organigramm bzw. durch öffentlichen Aushang muss die Zuständigkeit für das Beschwerdeverfahren abzulesen sein. Beschwerden sollten auch anonym möglich sein. Jede Rückmeldung ist ernst zu nehmen, denn nur, wenn Vertrauen in die verlässliche Bearbeitung einer Angelegenheit besteht wird auch in Fällen von Gewalt die Organisation/Einrichtung als Anlauf- stelle, von der Hilfe zu erwarten ist, wahrgenommen. Bei Konflikten sind die Zuständigkeiten klar und unmissverständlich geklärt. Bei Bedarf ist auch die Hinzuziehung externer Fachkräfte zur Deeskalation vorgesehen. Bei Beschwerden in Bezug auf (sexualisierte) Gewalt informiert die Beschwerdestelle grundsätzlich und unmittelbar die/den Ansprechpartner/-in bzw. die/den Beauftragte/-n für (sexuelle) Gewalt. Das weitere Vorgehen der/ des Ansprechpartners/-in bzw. Beauftragten basiert in solchen Fällen auf einrichtungsbezogenen Ablaufplänen nach Gewalt oder sexuellen Übergriffen.
b. Externe Beschwerdestelle
Insbesondere in Bezug auf Fehlverhalten durch haupt- wie ehrenamtliche Mitarbeitende spielen externe Beschwerdemöglichkeiten eine zentrale Rolle. Informationen zu externen Anlaufstellen, Notruf, Hotline etc. müssen bei Ankunft in einer Einrichtung bzw. bei einem Erstkontakt in der Beratung und in wiederkehrenden Ansprachen zur Verfügung gestellt werden. Die Kontaktdaten müssen sichtbar und jederzeit verfügbar kommuniziert werden. Es ist sicherzustellen, dass zu regelmäßigen Zeiten die/der Ansprechpartner/-in der externen Beschwerdestelle für Beschwerden zur Verfügung steht. Die Unabhängigkeit der Beschwerdestelle muss hervorgehoben werden.
Bei Beschwerden in Bezug auf (sexualisierte) Gewalt informiert die externe Beschwerdestelle grundsätzlich und unmittelbar die/den Ansprechpartner/-in bzw. Beauftragten für Gewaltschutz in der betroffenen Einrichtung.
Spezielle Präventionsmaßnahmen
… gegen Gewalt gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern durch Mitarbeitende in stationären Einrichtungen
Die Bewohner/-innen haben ihren Lebensmittelpunkt in einer stationären Einrichtung. Dieser Ort soll Schutz- und Rückzugsraum sein. Es ist essentiell, dass sie dort eine Atmosphäre der Gewaltfreiheit und eine Kultur der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit vorfinden, die Bestandteil ihrer Lebensqualität sind und ihnen ein höchstmögliches Wohlbefinden ermöglicht.
Die Mitarbeitenden sollen motiviert und angehalten werden, den ihnen anvertrauten Menschen mit Wertschätzung und Empathie zu begegnen. Pflegebedürftige Menschen und Bewohner/-innen einer stationären Einrichtung können auch Opfer von sexuellem Missbrauch werden, der wohl am stärksten tabuisierten und verstecktesten Form der Gewalt. Gerade hilfsbedürftige und beeinträchtigte Menschen, die unter starken körperlichen, kognitiven oder psychischen Einschränkungen leiden, gehören zu einem besonders vulnerablen Personenkreis.
Aussagen über die Häufigkeit von Missbrauchsfällen in stationären Einrichtungen sind schwer zu treffen, die Dunkelziffer ist hoch. Die Scham der Betroffenen ist besonders ausgeprägt. Oft haben sie bereits Gewalterfahrungen gemacht und die Angst ist groß, dass ihnen (wieder) kein Glaube geschenkt wird. Die zum Teil eingeschränkte Fähigkeit sich Hilfe zu holen, verunsichert die Betroffenen zusätzlich.
1. Überforderung der Mitarbeitenden entgegenwirken
- Ausbildung und Berufserfahrung bei der Personalauswahl beachten
- Auf Vielfalt in der Teamzusammensetzung Wert legen: Altersstruktur, Berufserfahrung und Verhältnis Männer und Frauen
- Bei der Einstellung sollte auf die Motivation, das Menschenbild, die ethische Grundhaltung und die Reflexionsfähigkeit des Mitarbeitenden Wert gelegt werden
2. Für angemessene Rahmenbedingungen sorgen
- Die Räumlichkeiten sollten an die Bedürfnisse des Personenkreises angepasst sein
- An den Bedürfnissen der Mitarbeitenden orientierte Dienstplanung
- Einhaltung der Pausen-, Frei- und Urlaubszeiten
3. Unterstützungsangebote für Mitarbeitende
- Regelmäßige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, v. a. um Handlungsstrategien für herausforderndes Verhalten und kritische Begegnungen zu entwickeln
- Raum und Zeit für kollegiale Beratung
- Teambesprechungen soll ein besonderer Stellen- wert zugewiesen werden:
- Vertrauen, Offenheit und gegenseitige Unterstützung sollen angestrebt werden, um ein offenes Umgehen mit Fehlern möglich zu machen
- Stress und Überforderung bei sich selbst und bei den Kollegen/-innen soll frühzeitig wahrgenommen und angesprochen werden um so früh wie möglich nach Entlastungsmöglichkeiten zu suchen
- Bewusstsein und Sensibilität in der Wahrnehmung von Gewalt und im Umgang mit ihr sollen entwickelt werden
- Bei sich zuspitzenden Krisen soll rechtzeitig nach Deeskalationsstrategien gesucht werden
- Vorkommnisse mit evtl. Gewaltbeteiligung sollen besprochen und nach alternativen Lösungen gesucht werden
- Gezielte Übergabegespräche bei jedem Schichtwechsel und aufmerksame und gewissenhafte Kenntnisnahme der Dokumentation der aktuellen Ereignisse
… gegen Gewalt gegenüber Mitarbeitenden durch Bewohner/-innen bzw. Klient/-innen
Die Erfahrung körperlicher Gewalt ist immer schwerwiegend und kann zu körperlichen und psychischen Verletzungen, im Extremfall zu Traumatisierungen führen. Mitarbeitende brauchen daher größtmöglichen Schutz vor körperlichen Angriffen und Verletzungen und das Gefühl der Sicherheit am Arbeitsplatz. Leider können wir nicht davon ausgehen, dass körperliche Angriffe immer zu verhindern sind. Neben Schutzmaßnahmen sind daher Hilfs- und Gesprächsangebote für Mitarbeitende und auch für Teams, die bereits Opfer von Gewalthandlungen geworden sind, wichtig.
Auch verbale Gewalt wie Beschimpfungen und ungerechtfertigte Vorwürfe können zu erheblichen Verletzungen bei Mitarbeitenden führen. Ängste und Unsicherheiten müssen ernstgenommen werden und dürfen auf keinen Fall bagatellisiert werden. Die Mitarbeitenden müssen in der Bewältigung dieser Vorkommnisse unterstützt und begleitet werden.
1. Maßnahmen in stationären Einrichtungen
- Sicherstellung einer ausreichenden personellen Ausstattung: adäquater Personalschlüssel, um Bewohner/-innen kurzfristig auch einzeln zu betreuen oder über einen längeren Zeitraum hinweg auch intensiver begleiten zu können
- Erstellung einer Gefährdungsanalyse am Arbeitsplatz und eine zeitnahe Umsetzung von Verbesserungen in Zusammenarbeit mit Sicherheitsbeauftragten, Betriebsärzten und weiteren Fachkräften
- Enge Zusammenarbeit zwischen Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung und Bewohnervertretungen. Bei Bedarf sollen zusätzliche Teamgespräche geführt werden
- Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten für die Bewohner/-innen: Einzelzimmer bzw. Aufenthaltsräume, die einen geschützten Rückzug ermöglichen (Ausweichraum), tragen dazu bei, dass mögliche Aggressionen abgebaut werden können
- Enge Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Betreuern:
- Die Betreuer/-innen sollen umfassend über die stattgefundenen Ereignisse informiert werden
- Es muss ihr Einverständnis für die ergriffenen Maßnahmen eingeholt werden
- Im Konfliktfall soll ein Hinweis auf möglich rechtliche Schritte und die Verlegung in eine andere Einrichtung erörtert werden
- Enge Zusammenarbeit mit dem zuständigen Gericht und den dort tätigen Richtern/-innen, Rechtspflegern/-innen sowie der Polizei: es sollen Absprachen über das Verfahren bei richterlichen Genehmigungen freiheitsentziehender Maßnahmen besprochen werden und gemeinsam mit der Polizei abgewogen werden, wie und in welchen Fällen Anzeige erstattet werden soll.
- Enge Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten/-innen: medikamentöse Einstellungen sollen bekannt sein, eine kurzfristige Verlegung in andere Einrichtungen besprochen und evtl. ambulant begleitet werden
- Die Mitarbeitenden sollen durch Fortbildungen befähigt werden mit diesen Ausnahmesituationen adäquat umzugehen:
- Selbstverteidigung und Selbstbehauptungstraining
- Informationen über Aggressionen und deren Ursachen und Hintergründe
- Deeskalationsstrategien
- Stressbewältigung und Achtsamkeit
- Mediation und Supervision
2. Umgang in den Beratungsstellen
- Fortbildungen für Berater/-innen zu Fortbildungen für Berater/-innen zu den Themen gewaltfreie Kommunikation und Deeskalation
- Termine in der Beratung: Nach Möglichkeit sollten keine Termine für Klientengespräche vereinbart werden, wenn der/die Berater/-in sich alleine in der Dienststelle befindet. Insbesondere bei neuen, bisher unbekannten Klienten ist Vorsicht geboten, wenn Abendtermine vereinbart werden. Befindet sich der/die Berater/-in alleine in der Dienststelle, sollte der Eindruck erweckt werden, dass noch weitere Kollegen/-innen anwesend sind
- Sollte der/die Klient/-in (stark) alkoholisiert oder intoxikiert sein oder verwirrt wirken und bei der Kontaktaufnahme bereits durch aggressives Verhalten auffallen, ist das Gespräch sofort abzubrechen
- Beratungsgespräche sollten nach Möglichkeit in Räumen durchgeführt werden, die der Beratungsfachkraft eine schnelle und reelle Fluchtmöglichkeit eröffnen. Bei der Möblierung der Büros soll darauf geachtet werden, dass die Einrichtung so gestellt wird, dass der/die Berater/-in näher beim Ausgang sitzt als der/die Klient/-in
- Durch entsprechende technische Geräte sollte unkompliziert, schnell und effektiv Hilfe gerufen werden können (Alarmknopf, Notruftaste am Telefon, Schrillalarm etc.)
Maßnahmen bei eingetretenen Bedrohungssituationen
Verdachtsmomente
Gewalt und (sexueller) Missbrauch lassen sich in vielen Fällen nicht sofort erkennen und sind nur schwer identifizierbar. Die Scham der Opfer und die Unfähigkeit das Erlebte zu benennen erschweren oft das Wahrnehmen der Gewaltsituation. Dies betrifft sowohl die Opfer selbst, als auch die Personen, die die Betroffenen betreuen und begleiten. Personen, die an kognitiven Beeinträchtigungen leiden, haben oft kein Bewusstsein für die von ihnen erlebte (sexualisierte) Ge- walt. Zudem ist ihre Mitteilungsfähigkeit häufig eingeschränkt. Psychisch Kranke trauen oft ihren eigenen Wahrnehmungen nicht. Plötzliche Verhaltensänderungen und/oder erhebliche Abweichungen vom üblichen Verhalten können bei diesem Personenkreis Hinweise auf das Erleben von Gewaltsituationen sein. Die Band- breite der Signale und Symptome ist sehr groß und sie müssen nicht immer den Ursprung in Gewalterfahrungen haben. Dennoch sollten Verhaltensauffälligkeiten und Äußerungen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht logisch oder stimmig erscheinen, ernst- genommen und (sexualisierte) Gewalt als mögliche Ursache in die Überlegungen einbezogen werden. Beobachtet man auch noch plötzliche Aversionen oder auffällig enge Beziehungen zu einem Mitarbeitenden, die einen privaten Charakter annehmen und mit Einzelaktivitäten verbunden sind, die fachlich nicht begründbar sind, ist größtmögliche Aufmerksamkeit geboten.
Viele Betroffene befürchten auch, dass ihnen nicht geglaubt wird. Gerade geistig Behinderte, Demenz- oder psychisch Kranke wissen, dass ihre Glaubwürdigkeit krankheitsbedingt geringer ist. Diese Angst wird häufig ganz gezielt von Tätern/-innen geschürt und ausgenutzt.
Trotz allem ist in Fällen, in denen (sexualisierte) Gewalt nur vermutet wird, jedoch keine belastbaren Beweise vorliegen, dringend zu raten, keine vorschnellen Aktivitäten in die Wege zu leiten.
Überstürztes Handeln birgt folgende erhebliche Risiken:
- Der/die Täter/-in können gewarnt sein und haben so die Möglichkeit Spuren und Beweise zu vernichten. Die Aufklärung der Tat kann dadurch erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden
- Der/die Täter/-in wird versuchen vom Opfer Stillschweigen zu erzwingen, was die Gefahr birgt, dass das Opfer einem erhöhten Druck ausgesetzt ist und unter Umständen zusätzlich misshandelt wird
- Das Opfer ist gezwungen unnötig oft und unnötig vielen Personen von der verletzen- den Erfahrung zu berichten. Das Erzählen und Wiedererleben der Tat kann beim Opfer Schuld- und Schamgefühle auslösen und schlimmstenfalls zu einer Retraumatisierung führen.
- Wenn auf Grund eines unsachgemäßen Vorgehens der Verdacht nicht hinreichend geklärt werden kann bzw. die Tat nicht nachweisbar ist, kann dies für das Opfer enorm verletzend sein. Zum einen hat die betroffene Person das Gefühl, dass ihr nicht geglaubt wird, zum anderen besteht die Gefahr, dass die Übergriffe fortgesetzt werden.
- Der/die Täter/-in kann gegen eine Person, die ihm/ihr fälschlicherweise den Vorwurf einer Straftat macht, Strafanzeige wegen übler Nachrede erstatten
Krisenintervention
Ein schriftlich fixiertes Verfahren der Krisenintervention beim Verdacht auf Fälle (sexualisierter) Gewalt ist zentraler Bestandteil dieses Schutzkonzeptes. Es soll sicherstellen, dass Betroffene sofort den notwendigen Schutz und die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Alle Mitarbeitenden müssen die einzuleitenden Schritte und die zuständigen Ansprechpartner/-innen kennen.
1. Ablaufplan
a. Notfallplan bei Gewalt und sexuellen Übergriffen
Im Falle einer aktuellen Gewaltanwendung sind folgende Schritte durch die Mitarbeitenden vor Ort zu veranlassen:
- Sicherstellung des Schutzes für den/die Betroffene/-n durch eine räumliche Trennung von dem/der Täter/-in
- Gegebenenfalls ärztliche Untersuchung und gesundheitliche Versorgung des Opfers
- Falls das Ausmaß und der Umfang der Gewaltanwendung es erfordert, soll die Polizei informiert werden
- Vorläufige Einschätzung der Gefährdungslage: In Absprache mit den zuständigen Ansprechpartnern/-innen (Leitung der Einrichtung, Polizei etc.) ist eine Einschätzung vor- zunehmen, ob für den/die Betroffene/-n weiterhin Gefahr besteht und welche Maßnahmen zu treffen sind, um den erforderlichen Schutz für das Opfer sicherzustellen
- Wenn der/die Beschuldigte ein/-e Mitarbeitende/-r ist, muss die betreffende Person sofort freigestellt werden
- Wenn der/die Täter/-in von außerhalb kommt, muss ein Hausverbot/Betretungsverbot der Einrichtung/der Dienst- stelle ausgesprochen und überwacht werden
- Gegebenenfalls soll eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt werden (Kontaktverbot)
- Wenn es Anhaltspunkte für eine Straftat gibt, muss die Polizei/die Staatsanwaltschaft informiert werden.
b. Ablaufplan nach Gewalt und sexuellen Übergriffen
Nachdem sich Fälle von (sexualisierter) Gewalt ereigneten, ist es wichtig, angemessen zu reagieren und der/dem Betroffenen Hilfe und Unterstützung zu geben. Folgende Schritte sind durch die Mitarbeitenden zu veranlassen:
- Information des Dienstvorgesetzten
- Unterstützung des/der Betroffenen durch (interne sowie externe) Ansprechpartner/-innen bzw. Beauftragte für Gewalt
- Unterstützung und Begleitung der Opfer bei der Erstattung von Strafanzeigen, Beweis- sicherungsverfahren und Zeugenaussagen
- Vermittlung und Konsultation von Ärzten/-innen, Anwälten/- innen, Fachberatungsstellen etc.
- Vermittlung von Beratungs- und Therapieangeboten
- Beratung im Team zur weiteren Hilfeplanung
- Verhinderung des Kontaktes zwischen dem/der Täter/-in und dem Betroffenen (Verlegung in eine andere Einrichtung, Hausverbot etc.).
- Es ist grundsätzlich untersagt, nach Bekanntwerden eines Übergriffes oder Gewalt ein gemeinsames Gespräch mit der/dem Betroffenen und der beschuldigten Person zu führen
- Dokumentation: Alle Beobachtungen, Eindrücke, Aussagen, Gespräche, Absprachen und Ergebnisse müssen von Beginn an chronologisch, mit Datum und idealer Weise Uhrzeit, aufgezeichnet werden
- Gegebenenfalls soll eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt werden (Kontaktverbot)
- Wenn es Anhaltspunkte für eine Straftat gibt, soll in Absprache mit dem Opfer die Polizei/ die Staatsanwaltschaft informiert werden
c. Ablaufplan im Falle der Vermutung von Gewalt oder sexuellen Übergriffen
Tauchen erste Verdachtsmomente auf, ist anfangs nicht klar, ob sich diese erhärten lassen oder ob sie sich als zu vage oder gar unbegründet erweisen. Von daher sind frühzeitige, persönliche Aufzeichnungen unerlässlich. Folgende Vorgehens- weise wird empfohlen:
- Dokumentation aller Beobachtungen und Vermutungen, dabei ist emotionales Erleben als solches klar zu benennen
- Vermutungen und Beobachtungen sind in einer Handakte abzulegen - nicht in der Bewohner/-innen - oder Klienten/-innenakte. Die Unterlagen sind vor der Einsichtnahme durch Dritte zu schützen
- Information der externen Ansprechpartner/-innen durch den/die Präventionsbeauftragte/-n oder den/die Ansprechpartner/-in für Prävention und Gewalt der Dienststelle
- Gemeinsame Einschätzung des Verdachtes durch den Mitarbeitenden und den/die Ansprechpartner/-in für Prävention und Gewalt:
Bei erwiesener oder wahrscheinlicher Vermutung
- Hinzuziehung einer externen Fachberatungs- stelle und eines/einer externen Beauftragten
- Gespräch des/der externen Beauftragten mit dem mutmaßlichen Opfer
- Einbeziehung des Dienstvorgesetzten (evtl. folgen dienstrechtliche Sanktionen)
- Bei Anhaltspunkten für eine Straftat soll in Absprache mit dem Opfer die Polizei/die Staatsanwaltschaft informiert werden
Bei vager Vermutung
- Entwicklung von Strategien und Maßnahmen wie und in welchem Rahmen auf der Ebene der Betroffenen, der Fachkräfte und der Einrichtung bzw. der Dienststelle Möglichkeiten für eine Erhärtung der Vermutung geschaffen werden können
- Sollte sich der Verdacht erhärten: vgl. oben
- Bei einem vagen Verdacht muss abgeklärt werden, ob der/vermutliche Täter/-in vom Dienst freigestellt werden muss oder ob die Sicherheit des Opfers auch durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann. Dies geschieht in Absprache mit den externen Ansprechpartnern/-innen.
- Wenn sich der Verdacht nicht erhärtet: Protokollierung und ggf. Rehabilitierung des/der zu Unrecht Verdächtigten (durch Löschen der persönlichen Vermutungen und Eindrücke oder Vernichten der Handakte)
2. Mindeststandard beim Umgang mit (sexualisierter) Gewalt
- Akzeptieren Sie, wenn die/der Betroffene nicht weitersprechen will!
- Überfordern Sie die/den Betroffene/-n nicht mit Fragen nach Details der Tat.
- Stellen Sie sachlich fest, dass die stattgefundenen Handlungen nicht in Ordnung waren.
- Stellen Sie die Aussagen des/der Betroffenen nicht in Frage, auch wenn sie unlogisch oder unglaubwürdig klingen.
- Diskutieren Sie nicht darüber, ob der/die Betroffene sich falsch verhalten hat. Die Verantwortung für (sexualisierte) Gewalt trägt niemals der/die Betroffene! Schützen Sie die/den Betroffene/-n vor weiterem Kontakt mit der/dem Beschuldigten!
- Trösten Sie den/die Betroffene/-n, aber achten Sie dabei auf die persönlichen Grenzen des/der Betroffenen.
- Versprechen Sie dem/der Betroffenen nichts, was Sie nicht halten können!
Unterstützen Sie den/die Betroffene/-n bei der Verarbeitung (sexualisierter) Gewalterfahrung
- Verzweifeln sie nicht, wenn der/die Betroffene in der ersten Zeit nach der Aufdeckung (sexualisierter) Gewalterfahrung massive Verhaltensauffälligkeiten zeigt.
- Leidet die/der Betroffene unter Stimmungsschwankungen (plötzliche Unruhe, Übererregung, Traurigkeit, Wutanfällen etc.), achten Sie darauf, in welchen Situationen diese auftreten und machen Sie sich dazu möglichst genaue Notizen.
- Betroffene können sich in schmerzhaften Erinnerungen verlieren. Versuchen sie solche Zustände durch ruhige Ansprache, Ablenkung oder Bewegung zu unterbrechen.
- Reagieren Sie mit liebevoller Sachlichkeit, wenn eine/ein Betroffene/-r die belastenden Erlebnisse erzählt und achten sie darauf, dass sie/er sich nicht selbst überfordert.
- Akzeptieren Sie es, wenn die/der Betroffene bestimmte Situationen, Personen oder Orte meidet! Helfen Sie jedoch dabei, dieses Vermeidungsverhalten in kleinen Schritten und mit Unterstützung wieder aufzuheben.
- Reduzieren Sie die/den Betroffene/-n nicht auf ihre/seine Opferrolle! Betonen Sie ihre/seine Ressourcen und unterstützen Sie sie/ihn im Alltag.
Umgang mit Gewalt …
… von Mitarbeitenden gegen Bewohner/-innen und Klienten/-innen
(siehe Formen der Gewalt, S. 2)
1. Ursachen von Gewalt
a. Ursachen physischer Gewalt
Eine häufige Ursache physischer Gewalt liegt in einer massiven Stress- und Überforderungssituation der Mitarbeitenden. Diese kann im dienstlichen und/oder privaten Umfeld des/der Einzelnen entstehen.
Im dienstlichen Umfeld kann es durch folgende situative Belastungen dazu kommen:
- Zeitdruck
- Personalmangel
- Unpassende Gruppengröße und -zusammensetzung der zu Betreuenden
- Besonders schwierig zu betreuender Personenkreis
- Umgang mit einem Personenkreis, bei dem keine Verbesserung der Lebenssituation zu erwarten ist
- Ständige Konfrontation mit Krankheit, Leid und Sterben
- ein/eine klar benannte/-r Ansprechpartner/-in muss zur Verfügung stehen, an den sich alle Mitarbeitenden, Bewohner/-innen und Klienten/-innen beim Vorliegen oder der Vermutung (sexualisierter) Gewalt wenden können: Kontaktdaten und Erreichbarkeit dieser Person müssen durch geeignete Maßnahmen bekannt gegeben werden.
- alle Mitarbeitenden müssen umfassend informiert sein, wie bei Vorfällen und Verdachtsmomenten im Falle (sexualisierter) Gewalt vorzugehen ist. Diese Informationen sollen einmal jährlich in der Mitarbeiterversammlung kommuniziert werden.
- Verpflichtung zur Einhaltung der Schweigepflicht, der Wahrung der Anonymität und zur unmittelbaren Dokumentation
- Kriseninterventionsmaßnahmen um unverzüglich das Opfer vor dem/der Täter/-in zu schützen
- es muss sichergestellt sein, dass bei Verdachtsmomenten die verantwortlichen Vorgesetzten unverzüglich informiert werden
- bei Vorliegen einer Straftat muss in Absprache mit dem/der Betroffenen oder dem gesetzlichen Vertreter die Polizei eingeschaltet werden
- der Ruf, einer zu Unrecht verdächtigten oder beschuldigten Person muss wiederhergestellt wer- den, wenn der Verdacht/Vorwurf sich als unbegründet erweist
Hinweise für den Umgang mit Betroffenen von (sexualisierter) Gewalt
Offenbaren sich Betroffene von (sexualisierter) Gewalt einem Mitarbeitenden, muss Folgendes beachtet werden:
- Reagieren Sie ruhig und mit Bedacht! Heftige Reaktionen und Emotionen belasten Betroffene und können sie zum Verstummen bringen.
- Machen sie keine Vorwürfe, auch wenn die/der Betroffene sich ihnen sehr spät anvertraut.
- Drücken Sie Lob und Wertschätzung dafür aus, dass die/der Betroffene den Mut gefunden hat, sich anderen anzuvertrauen und sich Hilfe holt.
- Stellen Sie in ruhigem Tonfall offene Fragen, um der/dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben über das Vorgefallene zu sprechen. Geben Sie keine Details vor!
Es muss unterschieden werden, ob
- der Einsatz von körperlicher Kraft zur Abwehr eines Angriffes, zum eigenen Schutz oder zum Schutz Dritter diente
- körperliche Gewalt einmalig auftritt (aus einer Überforderungs- oder Stresssituation heraus)
- körperliche Gewalt durch einen/eine Mitarbeitende/-n mehrmalig vorkommt
- Versteckte physische Gewalt durch groben, unangemessenen Körperkontakt (z. B. bei der Pflege) vorliegt
b. Ursachen psychischer Gewalt
Psychische Gewalt entsteht häufig durch unerfüllte der eigenen Bedürfnisbefriedigung. Der Wunsch nach Zuneigung und Anerkennung von erfüllten Erwartungen, Enttäuschungen und Wünsche des/der Mitarbeitenden nach mehr Anerkennung durch die ihm/ihr Anvertrauten oder durch Kollegen/-innen. Dies fließt in die Beziehungsgestaltung und in den pädagogischen Umgang mit ein und prägt diese negativ.
Auch unerwünschtes Verhalten bei alten Menschen bzw. Menschen mit Behinderung können beim Mitarbeitenden das Gefühl einer Provokation hervorrufen.
Kommt es zwischen dem/der Mitarbeitenden und dem/der zu Betreuenden zu einer Übertragung (im Sinne der Psychoanalyse) so können beide Seiten in alte, der Situation unangemessene Rollenverhalten verfallen und es kann zu einer Eskalation kommen, die der reellen Situation nicht gerecht wird.
c. Ursachen sexualisierter Gewalt
Die Ursachen hierfür liegen ausschließlich in der Person des/der Täters/-in. Mögliche Ursachen sind eine Störung der Sexualpräferenz und/oder andere psychische Störungen. Die empfundene Macht über das Opfer und das Gefühl der Überlegenheit dient der eigenen Bedürfnisbefriedigung. Der Wunsch nach Zuneigung und Anerkennung von einsamen, psychisch beeinträchtigten und älteren Menschen bzw. Menschen mit Behinderung wird dabei für eigene Zwecke umgedeutet und die besondere Verantwortung für den/die zu Betreuende/-n ignoriert.
d. Ursachen pädagogischer Gewalt
Die Ursachen pädagogischer Gewalt sind in situativem Stress und Überforderungen zu suchen. Diese entstehen durch:
- unpassende Gruppenzusammensetzungen
- selbsterzeugter oder von außen kommender Druck durch Vorgesetzte, Kollegen/-innen, Angehörige oder Betreuer/-innen
- zu hohe, zu viele und unangemessene Förderziele
- eigene Einstellungen, Normen und Werte, die unreflektiert auf die Schutzbefohlenen übertragen werden und sich nicht umsetzen lassen
- fehlgeleitete pädagogische Ansprüche
- eine unangemessene Einschätzung der psychischen Erkrankung oder Behinderung
- Fehlende Kompetenz und mangelndes Fach- wissen
- Persönliche Antipathie
e. Ursachen struktureller Gewalt
Strukturelle Gewalt ist meist nicht sichtbar. Es tritt keine Person in Erscheinung, die einen anderen Menschen direkt schädigt. Es handelt sich um eine latent wirkende Gewalt ohne konkreten »Täter«.
Bei der Umsetzung von Normen und Regelungen in Institutionen wird dennoch Gewalt ausgeübt. Beispiele hierfür sind:
- Beeinträchtigung von Lebensraum und Mangel an Privatsphäre
- Kostendruck durch politische Werteverschiebung
- Reibungsloses Funktionieren und Kostensparen als vorrangige Werte und Ziele vor individuellen Bedürfnissen und Wünschen
- Zu wenig Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen: Erfahrungen von Ohnmacht und Unfreiheit anstatt von Selbstbestimmung (betrifft Schutzbefohlene und Mitarbeitende gleichermaßen)
- Reglementierende Hausordnungen
- Mitarbeiterbezogene Faktoren wie personelle Engpässe (Nichteinhalten von Dienst- und Urlaubs-plänen), belastende Arbeitsbedingungen (Übermaß an Mehrarbeitsstunden), überzogener bürokratischer Aufwand
- Übertriebenes Sicherheitsbedürfnis vor Lebensqualität
2. Dienstrechtliche Reaktionen
Vonseiten der Dienstvorgesetzten können folgende Maßnahmen eingeleitet werden:
- Gesprächsangebot bei einem psychologischen Dienst oder einem Fachdienst der eigenen Wahl
- Reflexion und Supervision von Belastungen und Arbeitsbedingungen mit den betroffenen Mitarbeitenden im gesamten Team
- Notwendige Veränderungen der Arbeitsbedingungen oder Arbeitsplatzwechsel
- Ggf. kann ein längerer Prozess der Begleitung und Unterstützung mit individuellen Hilfsangeboten, aber auch der Aufsicht und Kontrolle des betroffenen Mitarbeitenden notwendig sein
Daneben ist vom Vorgesetzten das Dienstrecht zu beachten. Als dienstrechtliche Maßnahmen gelten:
- Die mündliche und schriftliche Ermahnung durch den Vorgesetzten
- Abmahnung durch den Dienstvorgesetzten, unter Umständen auch dann, wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt, aber wegen Nichteinhaltung
- fachlicher Standards das Vertrauen in die fachliche Eignung des Mitarbeitenden nachhaltig gestört ist
- Kündigung bei wiederholten und gravierenden Vorfällen unter Angabe von Gründen
- Prüfung einer Anzeige bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft durch die Einrichtung bzw. Dienststelle.
3. Deeskalation
Deeskalierendes Arbeiten richtet sich gegen Aggression und Gewalt. Es versucht die gefährlichen Situationen zu deuten, zu verstehen, vorzu- beugen und zu verändern. Folgende Aspekte sind dabei zu beachten:
- Der/die Mitarbeitende geht aus der Situation heraus und übergibt die Aufgabe an eine/-n Kollegen/-in
- Der/die Mitarbeitende achtet auf seine/ihre Sprache und versucht bewusst sachlich und ruhig zu antworten und zu intervenieren
- Erkennen Mitarbeitende bei Kollegen/-innen oder Angehörigen Aggressionsbereitschaft, sollten sie versuchen diese zu einem Gespräch zu bewegen um Lösungen zu finden
- Es sollte immer Hilfe angeboten werden bzw. externe fachliche Hilfe (z. B. von einem/-r Psychologen/-in oder einer Fachberatungsstelle) hinzu- gezogen werden
- Sollten Mitarbeitende bei sich selbst
- ansteigende Wutgefühle oder Aggressionsbereitschaft bemerken,
- feststellen, dass ihnen die professionelle Distanz zu ihren Bewohnern oder Angehörigen fehlt oder
- spüren, dass ihnen die Situation zunehmend entgleitet,
sollten sie sich um einen kollegialen Austausch bemühen oder sich externe Hilfe holen
- Kritische Situationen sollen im gesamten Team offen und konstruktiv besprochen werden, um das Aggressionspotential zu entschärfen
Umgang mit Gewalt von Bewohnern/-innen bzw. Klienten/-innen gegen Mitarbeitende
Bewohner/-innen einer stationären Einrichtung sind nach einer langen selbstbestimmten Lebensphase nun in einer Institution, die wenig Platz für Individualität bieten kann. Frustrationen, die durch das Zusammenleben mit anderen Personen, die sie nicht selbst wählen können, entstehen, eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten, die Scham über die eigene Unzulänglichkeit und zunehmende Abhängigkeiten, können Aggressionen auslösen, die sich gegen Mitarbeitende richten können.
1. Deeskalation
Das wichtigste Prinzip in allen aggressiv aufgeladenen Situationen ist es, einen Konflikt ab einem gewissen Spannungsniveau zu unterbrechen. Oft ist es hilfreich sich dazu Hilfe von anderen Mitarbeitenden zu holen.
Möglichkeiten, eine angespannte Situation zu unterbrechen sind:
- Überlegen, ob sich die Person, von der die Aggression ausgeht, in einer anderen Umgebung beruhigen kann und ob sie das besser alleine oder in Begleitung eines/einer Anderen kann.
- Dem/der Betroffenen ein konstruktives Gesprächsangebot machen: »Was brauchen Sie jetzt?« »Was kann Ihnen jetzt helfen?«
- Dafür Sorge tragen, dass keine Gegenstände in der Nähe sind, durch die er/sie sich selbst oder andere verletzten kann
- Falls keine Beruhigung erreicht werden kann und Gefahr für ihn/sie selbst oder andere besteht, muss geprüft werden, ob Interventionen wie Bedarfsmedikation, Zimmer abschließen oder weitergreifendere freiheitsentziehende Maßnahmen eingeleitet werden müssen
- Dem/der Mitarbeitenden ein Gespräch anbieten
- Der/die Mitarbeitenden ggf. zu seinem/ihrem betreuenden Arzt/Ärztin schicken
2. Mittel- und langfristige Hilfen für Mitarbeitende
Nach der Bewältigung einer aggressiven Eskalation und deren Folgen ist ein Austausch über den Vorfall und die damit verbundenen Empfindungen und Erfahrungen notwendig und entlastend. Sie unterstützt die Reflexion des eigenen Handelns und hilft, den Blick auf das weitere Vorgehen zu weiten.
a. bei Gesprächen zur Verarbeitung müssen folgende Grundsätze beachtet werden:
- die Gespräche finden an einem Ort statt, der vom Mitarbeitenden gewünscht wird und an dem er/sie sich wohl und sicher fühlt
- Gefühle wie Unsicherheit, Angst, Zorn und Schuld erhalten dort ihren Raum
- Schuldzuweisungen sind unbedingt zu vermeiden
- Es soll geklärt werden, wie der/die betroffene Mitarbeitende und das Team wieder Sicherheit erlangen können.
- Beim Erstkontakt mit dem/der Betroffenen kann ein zweiter Mitarbeitender (neutrale Person) hin- zugezogen werden.
b. Zwei Gespräche sind in jedem Fall notwendig
- der/die unmittelbare Dienstvorgesetzte bespricht mit der/dem betroffenen Mitarbeitenden die Situation. Folgende Gesprächsinhalte sollen dabei thematisiert werden:
- Der konkrete Vorfall und die aktuelle Situation des/ der Mitarbeitenden sollen besprochen werden
- Welche Hilfen und Maßnahmen benötigt der/die Mitarbeitende und welche das Team?
- Wie wird weiter mit dem/der Täter/-in und seinem/ihrem Verhalten umgegangen?
- Evtl. wird eine Strafanzeige gestellt
- Gespräch im Team unter Leitung des/der Team- vorgesetzten oder eines/einer Supervisors/-in. Folgende Themen sollen bei diesem Gespräch im Mittelpunkt stehen:
- Befindlichkeit des Teams und des/der Mitarbeitenden während bzw. nach dem Vorfall
- Einschätzung der Problematik und der Gefahrenlage
- Erörterung von möglichen Interventionen im Umgang mit dem/der Täter/-in
- Evtl. Verbesserung von Schutz und Sicherheit
c. Bei tiefergreifenderen Konflikten
ist nach dem Leitfaden für Konfliktmanagement vorzugehen (CariNet 5.2.6.1 »Leitfaden Konfliktmanagement«)
3. Melde- und Dokumentationspflicht
Bei allen Vorfällen mit körperlicher Gewalt besteht eine Informations- und Dokumentationspflicht. Der Informationsweg geht vom/von der beteiligten Mitarbeitenden über den/die unmittelbare/-n Dienst- vorgesetzte/-n zur/zum Einrichtungs- bzw. Abteilungsleiter/-in und dem/der Ansprechpartner/-in für Prävention. Je gravierender der Vorfall ist, desto rascher müssen die Informationen weitergegeben werden. Verletzt sich bei dem Vorfall jemand und eine ärztliche Behandlung ist notwendig, muss der/die behandelnde Arzt/Ärztin informiert werden, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt. Darüber hinaus ist der Vorfall der Personalverwaltung zu melden.
Umgang mit Gewalt, die zwischen Bewohner/-innen bzw. Klienten/-innen entsteht
Grenzüberschreitungen und (sexualisierte) gewalt- tätige Übergriffe werden insbesondere bei Bewohnern/-innen, die dementiell oder psychisch erkrankt sind, oftmals toleriert und übersehen. Das aggressive Verhalten wird mit der eingeschränkten Steuerungsfähigkeit der übergriffigen Person entschuldigt. Dabei ist eine solche Einschätzung weder für die von der Gewalt betroffenen Personen, noch für die übergriffigen Personen hilfreich.
Mitarbeitende sollen lernen, die Übergriffe durch in ihren geistigen Fähigkeiten und ihrer Wahrnehmung eingeschränkten Menschen ernst zu nehmen, nicht zu bagatellisieren und auf übergriffige Situationen adäquat zu reagieren. Auch wenn die Person, von der die Gewalt ausgeht, nie gelernt hat mit ihren Aggressionen angemessen umzugehen bzw. sich anderen Personen angemessen zu nähern und aus der eigenen Hilflosigkeit heraus übergriffig wird, ist ein Eingreifen durch Mitarbeitende und das Aufzeigen von Grenzen unabdingbar.
Bei Aggressionen zwischen Bewohnern/-innen bzw. sonstigen Schutzbefohlenen untereinander besteht die besondere Herausforderung darin, dass es zu Loyalitätskonflikten kommen kann, da beide Betroffenen gleichermaßen der Fürsorgepflicht der Mitarbeitenden unterliegen. Grundsätzlich gilt in diesen Fällen: Opferschutz vor Täterschutz. Dies bedeutet, dass zuerst die von der Gewalt betroffene Person geschützt werden muss. Ist eine Trennung der Beteiligten notwendig, muss der/die Täter/-in »gehen«, nicht das Opfer.
Genauso wichtig ist es aber im Anschluss auch der übergriffigen Person eine adäquate Betreuung und Begleitung zu ermöglichen. Entsprechend der Situation und des gesundheitlichen Zustandes des/der Betroffenen ist ein Gespräch zu führen, eine Aufforderung das Fehlverhalten zu unterlassen auszusprechen und entsprechende Regeln und Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen. Dabei sollte nicht die Person, sondern das problematische Verhalten kritisiert und hinterfragt werden.
Je nach Situation kann es sinnvoll sein, ein »Täter-Opfer-Gespräch« zu initiieren und zu begleiten. Die Person, von der die Aggression ausgeht, sollte sich glaubhaft entschuldigen und es sollte überlegt werden, wie das übergriffige Verhalten in Zukunft vermieden werden kann.
Sollte der Verdacht der sexualisierten oder einer anderen Form der Gewalt bestehen, sind durch den Träger Interventionen einzuleiten. Es kann eine Kündigung des Behandlungs-, Heim- oder Tagespflegevertrages im Raum stehen. Dabei ist von Beginn an - sofern bestellt - neben dem/der Bevollmächtigten bzw. dem/der Betreuer/-in auch die Einrichtungsaufsicht und die Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen (FQA) umfassend zu informieren und einzubeziehen.
1. Ursachen von physischer und psychischer Gewalt von Bewohnern/-innen und Klienten/-innen untereinander
Ursachen von physischer und psychischer Gewalt zwischen Bewohnern/-innen bzw. Klienten/-innen können in der Lebensgeschichte und der Persönlichkeit liegen, in aktuellen und vergangenen Beziehungen oder in den erlebten Strukturen und Rahmenbedingungen:
- Eigene Gewalterfahrungen (biographische Erlebnisse)
- Bewusster oder unbewusster Wunsch nach Ausübung von Macht
- Mangel an Aufmerksamkeit und Zuwendung (in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart)
- Verlusterfahrungen
- Nicht verarbeitete oder aktuell nicht bewältigte Ängste
- Depressionen und Wahnvorstellungen
- Sexuelle Verhaltensstörungen durch Demenzerkrankung
- Nebenwirkungen von Medikamenten (z. B. bei Anti-Parkinson-Mitteln)
- Mangel an Selbstsicherheit und -vertrauen
- Mangelnde Entscheidungsmöglichkeiten, Selbstwirksamkeit und Teilhabe
- Verunsicherung durch Veränderung der Umgebung und der Lebenswelt
- Persönliche Abneigungen und Antipathien gegen Lebensverhältnisse oder Personen
- Auflehnung gegen eine erlebte Rangordnung (z. B. Eifersucht)
- Mangelnde Kommunikationsfähigkeit und-möglichkeiten
- Negative Stresssituationen (Reizüberflutung, subjektiv erlebte Belastungen, zu hohe Anforderungen)
- Physische und psychische Schmerzen (die die Umwelt evtl. nicht wahrnimmt)
- Subjektiv ungünstige Rahmenbedingungen, die Aggressionen auslösen können (Farbgebung, defekte Möbel, dunkle und uneinsichtige Wege etc.)
- Unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse (z. B. subjektiv empfundene Geldnot)
2. Deeskalation
Absolut vorrangig ist es, die entstandene Gewaltsituation zu unterbrechen und das Spannungsniveau mit geeigneten und verhältnismäßigen Mitteln zu senken. Wenn es möglich ist, sollten weitere Mitarbeitende hinzugezogen werden. Die Gewaltsituation kann unterbrochen werden durch:
- Selbstsicheres Auftreten (»Dazwischengehen«) Festhalten und/oder Trennen der KonfliktpartnerKlare, verbale Anweisungen
- Bewusstes Verändern der Stimmlage und der Lautstärke (beruhigend oder bestimmt)
- Ablenken des/der Täters/-in
- Falls keine Beruhigung eintritt: Bedarfsmedikation, freiheitsentziehende Maßnahmen
- Einbindung von Vorgesetzten und Fachdiensten
- Informationen an den/die zuständige/-n Arzt/Ärztin
- Falls notwendig: die Polizei als Unterstützung anfordern
- Ggf. den/die Bevollmächtigte/-n bzw. den/die Betreuer/-in, die zuständige Aufsichtsbehörde oder die FQA informieren.
Mitarbeitende, die Personen betreuen und beraten, die zu gefährlichen Aggressionen neigen, sollen über eine angemessene technische Ausstattung (z. B. mobile Alarmgeräte, Schrill-Alarme etc.) verfügen.
Der/die beteiligte Mitarbeitende ist verpflichtet den Vorgang zu dokumentieren. Der Vorfall soll im Team besprochen und bearbeitet werden.
Mitarbeitende sollen aufmerksam im Alltag das Auftreten von psychischer Gewalt beobachten und benennen. Erlebte psychische Gewalt kann körperliche Gewalt provozieren und auslösen. Sollten sich Anzeichen einer Eskalation ergeben, sind mit allen Beteiligten Verhaltensweisen und -regeln zu entwickeln und umzusetzen
Beschwerdestellen
a. Interne Beschwerdestelle/ Konfliktmanagement
Im Caritas Kreisverband für Stadt Amberg und den Landkreis Amberg-Sulzbach werden die internen Beschwerdestelle wie folgt geregelt: Für die Geschäftsstelle, die Beratungsdienste und Kindergärten übernimmt die Allgemeine Sozialberatung in der Dreifaltigkeitsstraße 3 diese Funktion. In den Seniorenheimen wird diese Funktion durch die Leiter/innen des geronto-psychiatrischen Dienstes ausgeübt. Auch im Organigramm bzw. durch öffentlichen Aushang muss die Zuständigkeit für das Beschwerdeverfahren abzulesen sein.
Beschwerden sollten auch anonym möglich sein. Jede Rückmeldung ist ernst zu nehmen, denn nur, wenn Vertrauen in die verlässliche Bearbeitung einer Angelegenheit besteht wird auch in Fällen von Gewalt die Organisation/Einrichtung als Anlaufstelle, von der Hilfe zu erwarten ist, wahrgenommen.
Bei Konflikten sind die Zuständigkeiten klar und unmissverständlich geklärt. Bei Bedarf ist auch die Hinzuziehung externer Fachkräfte zur Deeskalation vorgesehen.
Bei Beschwerden in Bezug auf (sexualisierte) Gewalt informiert die Beschwerdestelle grundsätzlich und unmittelbar die/den Ansprechpartner/-in bzw. die/den Beauftragte/-n für (sexuelle) Gewalt. Das weitere Vorgehen der/ des Ansprechpartners/-in bzw. Beauftragten basiert in solchen Fällen auf einrichtungsbezogenen Ablaufplänen nach Gewalt oder sexuellen Übergriffen.
b. Externe Beschwerdestelle
Insbesondere in Bezug auf Fehlverhalten durch haupt- wie ehrenamtliche Mitarbeitende spielen externe Beschwerdemöglichkeiten eine zentrale Rolle. Informationen zu externen Anlaufstellen, Notruf, Hotline etc. müssen bei Ankunft in einer Einrichtung bzw. bei einem Erstkontakt in der Beratung und in wiederkehrenden Ansprachen zur Verfügung gestellt werden. Die Kontaktdaten müssen sichtbar und jederzeit verfügbar kommuniziert werden. Es ist sicherzustellen, dass zu regelmäßigen Zeiten die/der Ansprechpartner/-in der externen Beschwerdestelle für Beschwerden zur Verfügung steht. Die Unabhängigkeit der Beschwerdestelle muss hervorgehoben werden.
Bei Beschwerden in Bezug auf (sexualisierte) Gewalt informiert die externe Beschwerdestelle grundsätzlich und unmittelbar die/den Ansprechpartner/-in.
Die externe Beschwerdestelle für den Caritas Kreisverband für Stadt Amberg und den Landkreis Amberg-Sulzbach ist der
Caritas Diözesanverband in Regensburg
Stabstelle für Prävention
Elisabeth Pollwein-Hochholzer
( 0151/40 80 11 80
e.pollwein-hochholzer@caritas-regensburg.de