In die Sprechstunde im CaritasCentrum St. Vinzenz kommt ein alleinstehender Mann Mitte 30. Er ist ohne festen Wohnsitz, Arbeit, Geld und Krankenversicherung. Noch Anfang letzten Jahres hatte er eine feste Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Doch dann erhält er zwei Monate keinen Lohn, sein Arbeitgeber meldet Insolvenz an. Nach kurzer Zeit kann er die Miete nicht mehr zahlen, wird gekündigt, steht auf der Straße, kommt bei Freunden unter. Erst jetzt meldet er sich beim Jobcenter. Aber ohne Meldeadresse, so erfährt er dort, habe er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Er sieht keinen Ausweg, fühlt sich wie gelähmt - auch vor Scham. Erst Wochen später schafft er den Weg zur Beratungsstelle der Caritas. Peter Faller: "Wir erleben es leider oft, dass Menschen erst sehr spät zu uns kommen. Gerade bei Insolvenz des Arbeitgebers muss man sich eigentlich sofort einen Anwalt nehmen."
Petra Steinbrede und Peter Faller© Patricia Mangelsdorff
Es trifft leicht auch gut Ausgebildete.
Den Boden unter den Füßen zu verlieren, kann heute sehr schnell gehen. Das erfahren die beiden Berater fast täglich. Petra Steinbrede: "Auch gute Ausbildung und hochqualifizierte Arbeit schützen oft nicht - besonders, wenn man schon älter ist." So ging es einem IT-Spezialisten Mitte 50, der bei der 'Verschlankung' seiner Firma die Stelle verlor, danach keinen Platz mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt fand und seit Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I auf Hartz IV angewiesen ist. Erst eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme beim Caritasverband gab ihm wieder etwas Halt.
"Bis 2004," so Petra Steinbrede, "hatte man auch nach Ende des Arbeitslosengeldes mit der damaligen Arbeitslosenhilfe ein Einkommen, das etwas über der Hälfte des früheren Nettogehalts lag. Seit 2005 wird sie durch das Arbeitslosengeld II ersetzt. Das ist ein fester Regelsatz - eben Hartz IV: als Alleinstehender 409 Euro plus Leistungen für die Unterkunft."
Schmerzende Vorurteile.
Sozialer Abstieg, Verlust von Selbstwertgefühl und Kontakten: Für viele bedeutet das hohe seelische Belastung, oft mit gesundheitlichen Folgen. Peter Faller: "Da schmerzen weit verbreitete Vorurteile die Menschen besonders. Etwa, dass sie sich auf Kosten anderer ein bequemes Leben machen und ohnehin nicht arbeiten wollen..."
Ganz leicht entsteht ein Teufelskreis.
Solche Vorurteile treffen auch Menschen, die aufgrund eines zu niedrigen Arbeitseinkommens auf ergänzende Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Petra Steinbrede: "Es klingt so einfach: Die gehen zum Jobcenter und holen sich, was sie nicht selbst verdienen. In Wirklichkeit sieht das dann oft so oder ähnlich aus: Eine alleinerziehende Mutter ist geringfügig beschäftigt, ihr Monatseinkommen ändert sich ständig, je nachdem, wie viele Stunden ihr Chef sie braucht. Gegenüber dem Jobcenter muss sie jeden Monat ihr Einkommen nachweisen. Wenn es niedriger ist, als im Vormonat, wird es erst mal knapp für die Familie, weil sie die Nachzahlung erst später erhält. Dazu kommen unregelmäßige Arbeitszeiten - und das alles mit einem kleinen Kind." Ihr Kollege ergänzt: "Dann gerät man ganz schnell in einen Teufelskeis: Man kann Kontakte nicht pflegen, wird einsamer, findet weniger Hilfe im Alltag, die Belastung wächst einem über den Kopf, man wird vielleicht krank, macht Schulden, der Arbeitsplatz wackelt....."
"Oft ziehe ich den Hut vor den Menschen..."
Bei all dem beeindruckt es die Berater immer wieder, was viele auch unter schwersten Bedingungen noch schaffen. Wie etwa die alleinerziehende Mutter zweier Teenager, die sich kurz hintereinander zwei schweren Operationen unterziehen muss, danach nicht mehr erwerbsfähig ist, ausgelöst durch die gesundheitliche Krise und Existenzängste in Isolation gerät und an einer Depression erkrankt. Es aber dennoch nach einiger Zeit schafft, zu Petra Steinbrede zu kommen, weil sie nicht weiß, wovon sie dringend benötigte Möbel anschaffen soll. "Aus so einer Lage heraus muss man große Stärke entwickeln, um überhaupt um Hilfe zu bitten," sagt die Beraterin. "Für uns ist sehr wichtig, gemeinsam mit den Menschen nach ihren Ressourcen und Lösungsstrategien zu suchen. Diese Klientin recherchierte z. B. zusammen mit ihrer Tochter im Internet nach gebrauchten Möbeln und gab Anzeigen auf."
Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: "Natürlich gibt es andere, die aus ihrer Passivität nicht mehr herausfinden.... aber oft ziehe ich den Hut davor, mit wie wenig Geld Menschen auskommen und was sie dabei noch für ihre Kinder tun... aus was für einem tiefen Tal heraus sie wieder einen guten Weg finden."
"Bitte hört zu und urteilt nicht so schnell!"
Was sagen die beiden Berater, wenn sie pauschalen Vorurteilen gegen 'die Leistungsempfänger' begegnen? Petra Steinbrede: "Bitte urteilt nicht so schnell über die Menschen! Nehmt euch Zeit für Begegnung, fürs Zuhören und Hinschauen." Peter Faller fügt hinzu: "Sie sind keine 'Randgruppe'. Dazu sind es längst viel zu viele! Sie gehören genauso dazu, wie die, denen es materiell gut geht."
Die Mitarbeiter der Allgemeinen Lebensberatung sind für Menschen in Konfliktsituationen, finanziellen Schwierigkeiten, bei Ärger mit Behörden, Überforderung und in anderen schwierigen Lebenslagen da.
Sie beraten zu sozialrechtlichen Fragen und unterstützen dabei, Situationen zu klären, Probleme anzugehen, Lösungen zu finden und nach weiterer Hilfe zu suchen. Darüber hinaus fördern sie Selbsthilfeinitiativen und bieten Alphabetisierungskurse für deutschsprachige Erwachsene.
Die ausschließlich aus Mitteln der katholischen Kirche (Kirchensteuern) finanzierte Beratungsstelle ist erreichbar im CaritasCentrum St. Vinzenz, Kriemhildenstr, 6 in Worms, Telefon 06241 2681-23.
Offene Sprechzeiten sind donnerstags von 10 bis 11:30 Uhr, Beratung findet auch nach telefonischer Vereinbarung statt.